Lernmodul Mathematik
Übersicht:
- Allgemeines zu partiellen Ableitungen
- Partielle Ableitungen 1. Ordnung
- Partielle Ableitungen 2. Ordnung
23.2 Partielle Ableitungen - Erklärungen
Im Kapitel Ableitungen haben wir uns das erste Mal mit dem Ableiten von Funktionen beschäftigt. Möglicherweise ist Ihnen dabei aufgefallen, dass wir ausschließlich Funktionen mit einer Variablen, also in der Regel , betrachtet haben. Das war auch Absicht, da es immer gut ist, mit der einfacheren Variante zu beginnen und dann die Komplexität zu steigern. Die Anzahl der Variablen, die eine Funktion besitzen kann, ist nämlich theoretisch unbegrenzt. Denken Sie beispielsweise an das Volumen eines Zylinders, das von den beiden Variablen Höhe und Radius abhängig ist, oder an einen Preis, der von Angebot, Nachfrage, Marketing- und Personalkosten, Steuern etc. beeinflusst wird. Grundsätzlich stellt man an solche Funktionen die gleichen Fragen wie an Funktionen, die nur eine Variable haben. Vieles funktioniert dabei in ähnlicher Weise wie bisher. Für das Ableiten von Funktionen mit mehreren Variablen sollte man also erstmal begriffen haben, wie Funktionen mit einer Variablen abgeleitet werden. Es ist daher für das Verständnis dieses Kapitels quasi unumgänglich, dass Ihnen das Ableiten bei Funktionen mit einer Variablen gut vertraut ist. Ist dies nicht der Fall, schauen Sie sich bitte (noch mal) das vorherige Kapitel an.
Im Weiteren werden wir uns nur mit Funktionen, die von zwei oder drei Variablen abhängig sind, beschäftigen, z. B. oder . An diesen können die Besonderheiten im Vergleich zu Funktionen mit einer Variablen ausreichend erläutert werden. Es gilt: Wenn man verstanden hat, wie Funktionen mit zwei oder drei Variablen abgeleitet werden, lässt sich dies in der Regel problemlos auf Funktionen mit noch mehr Variablen übertragen. Es ist dann meist "nur" eine Frage der Konzentration, keine Fehler zu begehen.
Allgemeines
Denken wir kurz zurück, welche Bedeutung die (erste) Ableitung bei einer Funktion mit einer Variablen hat: Sie beschreibt die Steigung der Ausgangsfunktion in jedem Punkt. Was ist eigentlich noch mal die Steigung? Letztendlich nichts anderes als die Änderungsrate des Funktionswerts. Wenn man also den x-Wert um erhöht, gibt die Steigung die entsprechende Änderung des y-Werts an. Dabei gibt es Funktionen, nämlich die linearen, deren Steigung überall gleich ist, und Funktionen, bei denen sich die Steigung im Verlauf ändert, z. B. quadratische oder trigonometrische Funktionen. Bei solchen Funktionen können dann auch Extrem- und Wendepunkte auftreten. Diese Stellen sind für die Analyse von Funktionen von besonderer Bedeutung.
Noch ein weiterer Aspekt zur Erinnerung: Betrachten wir Funktionen mit einer Variablen im Koordinatensystem, bewegen wir uns im Zweidimensionalen.
Nun aber zu Funktionen mit mehreren Variablen: Betrachten wir beispielsweise eine Funktion mit zwei Variablen (gesprochen: "f von x und y"), so müssen wir ein dreidimensionales Koordinatensystem nutzen, da jedem Koordinatenpaar ein Funktionswert zugeordnet wird. Ein Punkt des Graphen besteht hier also immer aus drei Komponenten. Wir bewegen uns daher nicht mehr in der Ebene, sondern im Raum, sodass der Funktionsgraph keine Linie, sondern eine Fläche ist, die in der Regel gekrümmt sein wird. Entsprechend komplexer ist auch die Frage nach der Steigung. Ausgehend von einem beliebigen Punkt gibt es nun nicht mehr nur die eine Steigung, da sich der Funktionswert in der Regel unterschiedlich verändert, je nachdem, ob wir die Variable oder die Variable um erhöhen. Und wie verändert sich der Funktionswert, wenn wir beide Variablen gleichzeitig ändern?
Man könnte die Steigung in jede denkbare Richtung betrachten, aber glücklicherweise hat es sich für die Analyse solcher Funktionen als ausreichend erwiesen, nur die Steigungen entlang der Koordinatenachsen zu betrachten. Es wird also immer nur eine Variable verändert, während wir die anderen für den Moment ignorieren. Deswegen sprechen wir bei Funktionen mit mehreren Variablen auch von partiellen (also teilweisen) Ableitungen. Um eine partielle Ableitung zu bestimmen, wird die Funktion nach einer Variablen abgeleitet, wobei die anderen Variablen als Konstanten angesehen werden. Dadurch können wir - praktischerweise - alle bekannten Ableitungsregeln auf das partielle Ableiten übertragen.
Eine Bemerkung noch zum Definitionsbereich von Funktionen mit mehreren Variablen: Wie auch bei Funktionen mit einer Variablen ist die Angabe des Definitionsbereichs bei Funktionen mit mehreren Variablen zwingend erforderlich. Dabei können sich die Zahlenbereiche, die je Variable zur Verfügung stehen, voneinander unterscheiden. So kann z. B. für die Variable gelten, dass sie den positiven reellen Zahlen entstammt, wohingegen für die Variable alle reellen Zahlen zur Verfügung stehen. Der Definitionsbereich dieser Funktion mit zwei Variablen sieht dann wie folgt aus: (gesprochen: "D gleich R plus kreuz R").
Wichtig in diesem Zusammenhang: Die Definitionsbereiche der Funktion und ihrer Ableitung(en) können sich unterscheiden (siehe Exkurs).
Nun erstmal ein Beispiel: Schauen wir uns eine recht einfache Funktion mit zwei Variablen an: mit . Möchten wir hier partiell nach ableiten, um die Steigung der Funktion in x-Richtung zu bestimmen, so müssen wir als Konstante betrachten. Als Ergebnis erhalten wir dann die partielle Ableitung der Funktion nach : (gesprochen: "f Strich von x und y nach x"). Bei unserer Funktion erhalten wir . Warum?
- Nach der Summenregel dürfen wir beide Summanden separat ableiten.
- Die Ableitung von ist gemäß Produkt- und Potenzregel gleich .
- Die Ableitung von ergibt gemäß Konstantenregel .
Ist das plausibel? Probieren wir es mit einem beliebigen Punkt aus, also z. B. mit . Der Funktionswert für diesen Punkt lautet: . Die partielle Ableitung bedeutet, dass die Erhöhung von um ausgehend von einem beliebigen Punkt zu einer Erhöhung des Funktionswerts um führt. Also sollte der Funktionswert für gleich sein. Stimmt das? Wenn wir nachrechnen, ergibt sich tatsächlich als Ergebnis .
Um die partielle Ableitung von nach , also , zu bestimmen, gehen wir analog vor: Das bedeutet, dass wir dieses Mal als Konstante betrachten. Unter Verwendung von Summen-, Konstanten- und Potenzregel erhalten wir als Ergebnis. Auch hier können wir uns die Frage stellen, ob das plausibel ist. Erhöhen wir ausgehend von den y-Wert um , müsste sich bei der soeben ermittelten Steigung von der Funktionswert auf ändern. Das entspricht genau dem rechnerischen Wert: .
Wir stellen verallgemeinernd fest, dass es zu jeder Funktion mit Variablen genau partielle Ableitungen 1. Ordnung gibt, nämlich genau eine partielle Ableitung nach jeder Variablen. Aus dem vorherigen Kapitel wissen wir, dass es zu einer Funktion mit nur einer Variablen, genau eine Ableitung 1. Ordnung gibt. Diese wird zwar nicht als partiell bezeichnet, aber die Erkenntnis hinsichtlich der Anzahl der Ableitungen 1. Ordnung stimmt auch hier.
Beispiele für partielle Ableitungen 1. Ordnung
Korrekterweise müsste bei den nun folgenden Beispielen jeweils die Definitionsbereiche mit angegeben werden. Um den Fokus auf die Bestimmung der partiellen Ableitungen 1. Ordnung zu legen, werden wir darauf verzichten.
Wichtig: In den nun folgenden Beispielen gehen wir davon aus, dass Ihnen das Ableiten von Funktionen mit einer Variablen vertraut ist. Es werden also nicht so viele Zwischenschritte und Erklärungen notiert wie im vorherigen Kapitel. Schauen Sie also - wenn nötig - dort noch mal nach!
Technischer Hinweis: Wirken Terme oder Texte rechts abgeschnitten, so liegt das an der Breite Ihres Browser-Fensters. Sie können dann z. B. durch Drücken der Umschalttaste (auch Shift-Taste genannt) und gleichzeitiges Drehen am Mausrad nach rechts scrollen.
Funktion |
Partielle Ableitungen
|
ggf. Nebenrechnung |
||
Beispiel 1 |
||||
Da beim Bilden der ersten partiellen Ableitung nach die Variable als konstant angesehen wird, fällt der Term beim Ableiten aufgrund der Konstantenregel weg. |
||||
Analog fällt der Term bei der ersten partiellen Ableitung nach weg. | ||||
Beispiel 2 |
||||
Die Produktregel wird hier nicht benötigt, da jeweils ein Faktor des Terms beim Ableiten als Konstante angesehen wird. Deswegen ist sowohl beim partiellen Ableiten nach als auch nach nur die Faktorregel zu verwenden. |
||||
Beispiel 3 |
||||
Da bei dieser Funktion im Exponenten ein Polynom steht, muss hier sowohl beim partiellen Ableiten nach als auch beim partiellen Ableiten nach die Kettenregel angewendet werden. |
||||
Beispiel 4 |
||||
Beim partiellen Ableiten nach muss die Quotientenregel angewendet werden, da diese Variable sowohl im Zähler als auch im Nenner auftritt. Grundsätzlich könnte man die Quotientenregel umgehen, indem man den Bruch in folgenden Term umschreibt: . Dann benötigt man allerdings zum Ableiten Produkt- und Kettenregel. |
||||
Beim partiellen Ableiten nach ist die Anwendung der Quotientenregel nicht nötig, da auch geschrieben werden kann als . Dabei ist ein von unabhängiger Faktor. |
||||
Beispiel 5 |
||||
Um die partielle Ableitung nach zu bestimmen, müssen die Produkt- und im Kosinusterm zusätzlich die Kettelregel angewendet werden. | ||||
Beispiel 6 |
||||
Partielle Ableitungen 2. Ordnung
Wie bereits im vorherigen Kapitel erklärt, gibt es neben den Ableitungen 1. Ordnung auch Ableitungen höherer Ordnung. So ist z. B. die Ableitung 2. Ordnung die abgeleitete Ableitung 1. Ordnung. Das lässt sich auf partielle Ableitungen übertragen. Auch hier können durch erneutes partielles Ableiten aus den partiellen Ableitungen 1. Ordnung die partiellen Ableitungen 2. Ordnung gewonnen werden.
Allerdings gibt es dabei einen Unterschied zu Funktionen mit einer Variablen: Hat man eine Funktion mit mehreren Variablen partiell nach abgleitet, so gibt es bei der partiellen Ableitung 2. Ordnung die Möglichkeit, diese wieder nach abzuleiten oder aber nach . Schauen wir uns dazu eine Funktion mit zwei Variablen an: . Die partielle Ableitung 1. Ordnung nach ist . Leiten wir diese erneut nach ab, so erhalten wir , als partielle Ableitung 2. Ordnung. Die zwei tiefgestellten zeigen, dass in beiden Fällen nach abgeleitet worden ist. Man hätte die partielle Ableitung 1. Ordnung nach aber auch nach ableiten können. Dann hätten wir als Ergebnis folgende partielle Ableitung 2. Ordnung erhalten: . Hier ist erkennbar, dass zuerst partiell nach und dann partiell nach abgeleitet worden ist. Für eine Funktion mit zwei Variablen ergeben sich also immer vier partielle Ableitungen 2. Ordnung:
- (gesprochen: "f zwei Strich von x und y nach x und x")
- (gesprochen: "f zwei Strich von x und y nach y und y")
- (gesprochen: "f zwei Strich von x und y nach x und y")
- (gesprochen: "f zwei Strich von x und y nach y und x")
Die beiden letztgenannten Ableitungen werden auch als gemischte partielle Ableitungen 2. Ordnung bezeichnet, da hier nach verschiedenen Variablen abgeleitet worden ist. Wie Sie den zahlreichen Beispielen im Folgenden entnehmen können, stimmen die beiden gemischten partiellen Ableitungen interessanterweise immer überein. Es ist also egal, ob sie zuerst nach und dann nach ableiten oder umgekehrt. Nur in Ausnahmefällen gibt es hier Unterschiede, denen Sie aber mit hoher Wahrscheinlichkeit im Studium nicht begegnen werden.
Schon im Kapitel Ableitungen hatten wir eine kurze Bemerkung zur Schreibweise von Ableitungen gemacht und darin auf alternative Darstellungen insbesondere bei Funktionen mit mehreren Variablen hingewiesen. Betrachten Sie den folgenden Einschub insofern als kleinen Exkurs:
Die partielle Ableitung 1. Ordnung einer Funktion kennzeichnet man meist mit einem hochgestellten Strich an der Funktionsbezeichnung, wobei die Variable, nach der partiell abgeleitet wurde, tiefgestellt wird: Die Ableitung von nach schreibt man demnach .
Es gibt aber auch folgende Darstellung: (gesprochen: "del f von x und y nach del x"). Dabei zeigt das Zeichen , dass es sich um eine partielle Ableitung handelt. Nehmen wir nochmal unser Beispiel von oben: . Dann sind auch folgende Notationen üblich:
Ausgehend von der partiellen Ableitung 1. Ordnung nach , also , notiert man die partielle Ableitung 2. Ordnung nach folgendermaßen:
Gehen wir wieder von der partiellen Ableitung 1. Ordnung nach , also , aus, sieht die gemischte partielle Ableitung 2. Ordnung dann wie folgt aus:
Beispiele für partielle Ableitungen 2. Ordnung
Wir schauen uns nun die Beispiele von oben nochmal an und bestimmen jeweils die partiellen Ableitungen 2. Ordnung.
Ausgangsfunktionen |
Partielle Ableitungen
|
ggf. Nebenrechnung |
||
Beispiel 1 |
||||
Beispiel 2 |
||||
Beispiel 3 |
||||
Beispiel 4 |
||||
Beispiel 5 |
||||
Beispiel 6 |
||||
Ausblick
Nachdem wir uns zuerst überlegt haben, was partielle Ableitungen sind, und danach zahlreiche Beispiele für deren Bestimmung angeschaut haben, stellt sich jetzt natürlich die Frage, wofür partielle Ableitungen überhaupt benötigt werden. Ein wichtiges Anwendungsgebiet liegt in der Bestimmung von Extrem- und Wendepunkten bei Funktionen mit mehreren Variablen - ganz ähnlich, wie man die Ableitungsfunktion bei Funktionen mit einer Variablen nutzt. So können Funktionen mit zwei Variablen in einem dreidimensionalen Koordinatensystem häufig als gekrümmte Flächen abgebildet werden, die man auch Funktionsgebirge nennt. Diese Flächen können Hoch- und Tiefpunkte, also "Gipfel" und "Täler", haben. Die Koordinaten der Hoch- und Tiefpunkte benötigt man z. B. bei der Festlegung des optimalen Preises in Abhängigkeit der diversen Einflussfaktoren oder zur Bestimmung der minimalen Oberfläche eines dreidimensionalen Körpers bei gegebenem Volumen. Die Bestimmung von Extrem- und Wendepunkten wird mit jeder weiteren Dimension komplizierter - auch weil uns dafür das Vorstellungsvermögen fehlt. Häufig werden solche Berechnungen daher am Computer durchgeführt. Deswegen verzichten wir im Rahmen dieses Lernmoduls auf die konkrete Ermittlung von Extrem- und Wendepunkten und belassen es bei diesem kurzen Ausblick.