Dieses Kapitel enthält die folgenden Themen:

 

22.2 Ableitungen - Erklärungen

Mathematischer Hinweis vorab: Um den Begriff "Ableitung" mathematisch korrekt zu fassen, müssten wir Grenzwerte betrachten. Darauf wird im Rahmen dieses Lernmoduls verzichtet, da hier der Umgang mit und das Berechnen von Ableitungen im Mittelpunkt stehen und ein grobes Verständnis der Hintergründe dafür ausreicht. Sollten Sie ein gesteigertes Interesse an den Hintergründen haben, können Sie Ihren Wissensdurst mit folgendem PDF-Dokument stillen: diff0.pdf (150 KB).

 

Allgemeines zu Ableitungen

Die (erste) Ableitung f'(x) (gesprochen: "f Strich von x") einer Funktion f(x) ist die Funktion, die die Steigung der Ausgangsfunktion f(x) in jedem Punkt beschreibt. Das bedeutet, dass man für jeden x-Wert der Ausgangsfunktion f(x) mithilfe ihrer ersten Ableitung f'(x) die Steigung an genau dieser Stelle bestimmen kann, wobei die Steigung nichts anderes als die Änderungsrate des Funktionswerts darstellt. Anders formuliert: Wie stark verändert sich der y-Wert, wenn sich der x-Wert um einen bestimmten Wert ändert?
Wie man die Ableitung einer gegebenen Funktion bestimmen kann und warum die Steigung der Funktion bei ihrer Analyse, z. B. im Rahmen einer Kurvendiskussion, von besonderem Interesse ist, werden wir im weiteren Verlauf des Kapitels sehen. Zuvor folgen aber ein paar Überlegungen zum Thema Steigung.

Das Konzept "Steigung" kennen wir schon aus dem Kapitel Lineare Funktionen. Bei linearen Funktionen ist die Steigung im gesamten Verlauf konstant. Sie lässt sich aus der Funktionsvorschrift ablesen oder mit einer Formel berechnen, wenn zwei Punkte der linearen Funktion bekannt sind. Auf jeden Fall ist die Bestimmung der Steigung einer linearen Funktion an einer bestimmten Stelle x ohne vorherige Herleitung der ersten Ableitung möglich. Dennoch lassen sich auch von linearen Funktionen Ableitungen bilden.
Schauen wir uns ein Beispiel an: Die Steigung der linearen Funktion f(x)=3x-5 ist 3, als Ableitung formuliert f'(x)=3. Unabhängig davon, ob man nun die Steigung an der Stelle x=1 oder x=2 oder an einer anderen beliebigen Stelle bestimmt, erhält man - wenig überraschend - als Ergebnis immer eine Steigung von 3 (als Formel: f'(1)=3 bzw. f'(2)=3).

Steigung einer Geraden

Keine Sorge ... Sollte Ihnen die Bestimmung der ersten Ableitung unbekannt sein oder sollten Sie sich daran nicht mehr erinnern können, wir werden alle notwendigen Ableitungsregeln in diesem Kapitel besprechen.

Wichtig: f(x) bedeutet etwas Anderes als f'(x). In unserem Beispiel:

  • f(2)=3 \cdot 2 - 5 = 1 bedeutet: Die Funktion f(x) hat an der Stelle x=2 den Funktionswert 1.
  • f'(2)=3 bedeutet: Die Funktion f(x) hat an der Stelle x=2 die Steigung 3.

Abgesehen von den linearen Funktionen ist die Steigung bei anderen (spannenderen ...) Funktionstypen "leider" nicht überall konstant. Sie haben solche Funktionen auch schon kennengelernt; die einfachsten unter ihnen sind die quadratischen Funktionen. Dass die Steigung bei diesen Funktionen nicht überall gleich ist, erkennt man schon daran, dass ihre Graphen in einem Abschnitt steigen und in einem anderen fallen. Die Steigung muss also zum Teil positiv und zum Teil negativ sein.
Das nächste Beispiel: Die erste Ableitung der Funktion f(x)=x^2 lautet f'(x)=2x. Somit hat die Ausgangsfunktion f(x) an der Stelle x=1 eine Steigung von f'(2)=2 \cdot 1=2 und an der Stelle x=-2 eine Steigung von f'(-2)=2 \cdot (-2)=-4.

Wie lässt sich die Steigung einer Funktion f(x) an einer bestimmten Stelle ermitteln, falls es sich nicht um eine lineare Funktion handelt?
Man kann hierfür die Tangente t(x) an dieser Stelle heranziehen. Die Tangente ist eine Gerade, die den Funktionsgraphen in einem Punkt berührt und in der Umgebung dieses Punktes die gegebene Funktion approximiert (also annähert). Im Berührpunkt haben Funktionsgraph und Tangente die gleiche Steigung. Da die Tangente eine Gerade ist, könnte man für sie die Steigung unkompliziert berechnen, z. B. über ein Steigungsdreieck m=\dfrac{\Delta y}{\Delta x}, wenn man denn zwei Punkte kennen würde. Wir kennen in diesem Fall aber nur einen Punkt, nämlich den Berührpunkt mit der Ausgangsfunktion. 

Parabel und eine Tangente mit Steigungsdreieck

Deswegen muss man an dieser Stelle eine Grenzwertbetrachtung anstellen, auf die wir aber - wie eingangs erwähnt - in diesem Lernmodul verzichten, da diese Berechnung mathematische Konzepte erfordert, die über das Lernmodul hinausgehen. Glücklicherweise gibt es diverse Ableitungsregeln, um zu einer gegebenen Funktion f(x) ihre Ableitung zu ermitteln, sodass wir uns das Ermittlung der Steigung einer Funktion an einer bestimmten Stelle durch Finden der Tangente und Bestimmung von deren Steigung ersparen können.

Bemerkung zur Schreibweise von Ableitungen: Die Ableitung einer Funktion kennzeichnet man meist mit einem hochgestellten Strich an der Funktionsbezeichnung: Die Ableitung von f(x) heißt dann f'(x). Später wird auch die alternative Schreibweise \dfrac{df}{dx} (gesprochen: "d f nach d x") nützlich sein, wenn es sich nicht um eine Funktion mit einer Variable, sondern um eine Funktion mit mehreren Variablen handelt, die abgeleitet werden soll. 

Da die Ableitung einer Funktion f(x) (wenn sie existiert, siehe unten) wieder eine Funktion ist, nämlich f'(x), kann sie erneut abgeleitet werden. So erhält man die zweite Ableitung f''(x), die auch als Ableitung zweiter Ordnung bezeichnet wird. Analog dazu, dass man mithilfe der ersten Ableitung die Steigung der Ausgangsfunktion an einer beliebigen Stelle bestimmen kann, lässt sich mithilfe der zweiten Ableitung die Steigung der ersten Ableitung an einer beliebigen Stelle ermitteln. Die erste Ableitung ist also die Steigungsfunktion der Ausgangsfunktion und die zweite Ableitung die Steigungsfunktion der ersten Ableitung.
Leitet man die zweite Ableitung erneut ab, kommt man zur dritten Ableitung f'''(x) oder auch Ableitung dritter Ordnung usw. ... Grundsätzlich gilt, dass die Ableitung einer Funktion immer die Steigungsfunktion dieser Funktion ist, egal in welcher "Generation" wir uns befinden. Die dritte Ableitung f'''(x) ist somit die Steigungsfunktion der zweiten Ableitung f''(x). f''(x) und f'''(x) werden auch höhere Ableitungen oder Ableitungen höherer Ordnung genannt. Sie sind u. a. für die Bestimmung "besonderer Punkte" der Funktion wichtig.

 

Ableitungsregeln

Für die Berechnung von Ableitungen gibt es verschiedene Regeln, die in der folgenden Tabelle zusammengestellt sind. Es gibt in der Mathematik keine feste Reihenfolge für diese Regeln. Sie werden also in anderen Quellen möglicherweise andere Reihenfolgen finden. Die Zahl der Regeln ist - wie sich leicht erkennen lässt - sehr überschaubar. Allerdings kann das Ableiten einer Funktion trotzdem recht anspruchsvoll werden, da ggf. mehrere Regeln kombiniert angewendet werden müssen.

Zwei Bemerkungen vorab:

  • Falls erforderlich, werden in der Tabelle Teilfunktionen, aus denen die Funktion f(x) zusammengesetzt ist, mit u(x), v(x), g(x) und h(x) bezeichnet.
  • Eine Funktion kann natürlich nur dort abgeleitet werden, wo sie auch definiert ist. Korrekterweise müsste also immer der Definitionsbereich mit angegeben werden, vor allem bei den Regeln für spezielle Funktionen. Um die folgende Auflistung übersichtlich zu halten, werden wir hier darauf verzichten, weil die Definitionsbereiche in den entsprechenden Kapiteln nachgelesen werden können.
    Wichtig in diesem Zusammenhang: Die Definitionsbereiche der Funktion und ihrer Ableitung(en) können sich unterscheiden (siehe Exkurs).
  Funktion   Ableitung   Bemerkung

grundlegende Regeln
Potenzregel f(x)=x^n   f'(x)=nx^{n-1}   Die Potenzregel kann auch als die Ableitung einer Potenz- bzw. Polynomfunktion angesehen werden.
Konstantenregel f(x)=a   f'(x) =0   a \; \in \; \mathbb{R}
Faktorregel f(x)=a \cdot u(x),   f'(x)=a \cdot u'(x)   a \; \in \; \mathbb{R}
Summenregel f(x)=u (x)+v(x)   f'(x)=u'(x) + v'(x)    

weitergehende Regeln
Produktregel f(x)=u(x) \cdot v(x)   f'(x)=u'(x) \cdot v(x) + u(x) \cdot v'(x)   Da die Addition kommutativ ist, gilt natürlich auch f'(x) = u(x) \cdot v'(x) + u'(x) \cdot v(x)
Quotientenregel f(x)=\dfrac{u(x)}{v(x)}   f'(x)=\dfrac{u'(x) \cdot v (x) - u(x) \cdot v'(x)}{v^2(x)}   Um eine Division durch 0 zu verhindern, muss ggf. der Definitionsbereich so eingeschränkt werden, sodass v(x)\neq 0 ist für alle x\;\in\;\mathbb{D}.
Kettenregel f(x)=g\left(h(x)\right)   f'(x)=g'\left(h (x)\right) \cdot h'(x)    

Regeln für spezielle Funktionen
Exponentialfunktion f(x)=a^x   f'(x)=\ln(a)\cdot a^x   a\in\mathbb{R}^+\setminus_{\{1\}}
  Da \ln(e) = 1 ist, ergibt sich aus dieser allgemeinen Regel die Ableitung für Exponentialfunktionen zur Basis e folgendermaßen:
  f(x)=e^x   f'(x)=e^x    
Logarithmusfunktion f(x)=\log_a(x)   f'(x)=\dfrac{1}{x\cdot \ln(a)}   a\in\mathbb{R}^+\setminus{_{\{1\}}}
  Da \log_e(x) = \ln(x) und \ln(e) = 1 ist, ergibt sich aus dieser allgemeinen Regel die Ableitung für Logarithmusfunktionen zur Basis e folgendermaßen:
  f(x)= \ln(x)   f'(x)=\dfrac{1}{x}    
Sinusfunktion f(x)=\sin(x)   f'(x)=\cos(x)    
Kosinusfunktion f(x)=\cos(x)   f'(x)=- \sin(x)    
Tangensfunktion f(x)=\tan(x)   f'(x)= \dfrac{1}{(\cos(x))^2}    

 

Beispiele für die Ableitungsregeln

Korrekterweise müsste auch bei den Beispielen immer der Definitionsbereich mit angegeben werden. Um den Fokus auf die Anwendung der Ableitungsregeln zu legen, werden wir wieder darauf verzichten.

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Beispiele für die Anwendung der grundlegenden Regeln 


Potenzregel

Funktion   Ableitung    
f(x) = x^2   \begin{array}{rcl}f'(x) & = & 2 \cdot x^{2-1} \\\\& = & 2 \cdot x^1 = 2 \cdot x \end{array}

   
\begin{array}{rcl}f(x) & = & x \\\\& = & x^1 \end{array}   \begin{array}{rcl}f'(x) & = & 1 \cdot x^{1-1} \\\\& = & 1 \cdot x^0 = 1 \cdot 1 = 1 \end{array}

   

Dass die Ableitung dieser Funktion f'(x) = 1 lautet, ist wenig überraschend, da es sich bei der Ausgangsfunktion ja um eine lineare Funktion mit der Steigung 1 handelt.

Die Potenzregel kann auch angewendet werden, wenn der Exponent nicht ganzzahlig und positiv, sondern negativ oder gebrochen ist:

\begin{array}{rcl}f(x) & = & \dfrac{1}{x^6} \\\\& = & x^{-6} \end{array}

  \begin{array}{rcl}f'(x) & = & -6 \cdot x^{-6-1} \\\\& = & -6x^{-7} = -\dfrac{6}{x^7} \end{array}    

Ganz wichtig: Es ist hier keine Option, Zähler und Nenner getrennt voneinander abzuleiten. Wenn Sie die Umformung mithilfe der Potenzgesetze nicht durchführen, müssen Sie zum Ableiten die Quotientenregel (siehe unten) anwenden, was üblicherweise komplizierter ist. Das sichere Beherrschen der Potenzgesetze ist also an dieser Stelle sehr hilfreich. 

Bemerkung: Achten Sie beim Zusammenrechnen im Exponenten darauf, dass -6-1=-7 und nicht -5 ist.

\begin{array}{rcl}f(x) & = & \sqrt{x} \\\\& = & x^{\frac{1}{2}} \end{array}

  \begin{array}{rcl}f'(x) & = & \dfrac{1}{2} \cdot x^{\frac{1}{2}-1} \\\\ &=& \dfrac{1}{2} \cdot x^{-\frac{1}{2}} = \dfrac{1}{2x^{\frac{1}{2}}} = \dfrac{1}{2\sqrt{x}} \end{array}    
Die Ableitung von f(x)=\sqrt{x} werden Sie möglicherweise in Ihrer Formelsammlung finden, sodass hier nicht zwingend die Anwendung der Potenzgesetze und die Kenntnis der Potenzregel notwendig gewesen wäre. Allerdings gibt es auch komplexere Wurzelfunktionen, zu denen Sie in der Formelsammlung keine Ableitung finden werden. Deswegen ist sinnvoll und hilfreich, auch die Anwendung der Potenzregel auf Wurzelausdrücke zu beherrschen.

\begin{array}{rcl}f(x) & = & \dfrac{1}{\sqrt[3]{x^2}} \\\\& = & x^{-\frac{2}{3}} \end{array}

  \begin{array}{rcl}f'(x) & = & -\dfrac{2}{3} x^{-\frac{2}{3}-1} \\\\ & = & -\dfrac{2}{3} x^{-\frac{5}{3}} = -\dfrac{2}{3 \sqrt[3]{x^5}} \end{array}    

Konstantenregel

f(x) = -32   f'(x) = 0    
f(x) ist eine konstante Funktion, also eine Parallele zur x-Achse. Da kann bei der Steigung nicht viel passieren ...


Faktorregel

f(x) = 5\cdot x^2   f'(x) = 5\cdot 2x = 10x    
Der Faktor, hier die 5, bleibt beim Berechnen der Ableitung als Faktor bestehen.


Summenregel

f(x) = x^3+x^2   f'(x) = 3x^2+2x    
Die beiden Summanden werden jeder für sich abgeleitet und anschließend wieder addiert.


Kombination mehrerer grundlegender Regeln


Bei den meisten Funktionen müssen mehrere grundlegende Regeln kombiniert angewendet werden:
\begin{array}{rcl}f(x) & = & x^3+\dfrac{5}{x^2}-\ln(5) \\\\& = & x^3 + 5 \cdot x^{-2}-\ln(5) \end{array}

  \begin{array}{rcl}f'(x) & = & 3x^2-10x^{-3} - 0\\\\& = & 3x^2 - \dfrac{10}{x^3} \end{array}

   
Bitte beachten Sie, dass \ln(5)\approx 1{,}61 ein konstanter Wert ist und somit laut Konstantenregel beim Ableiten zu 0 wird.


Beispiele für die Anwendung der weitergehenden Regeln


Ein Tipp vorab: Bei Funktionen, die mit den weitergehenden Regeln abgeleitet werden müssen, ist es immer nützlich, die Teilfunktionen und ihre Ableitungen separat aufzuschreiben und Schritt für Schritt, ggf. auch mit Nebenrechnungen, vorzugehen (siehe rechte Spalte).


Produktregel

Funktion   Ableitung   ggf. Nebenrechnung
f(x) = x^3 \cdot x^2   \begin{array}{rcl}f'(x) & = & 3x^2 \cdot x^2 + x^3 \cdot 2x \\\\& = & 3x^4 + 2x^4 \\\\& = & 5x^4 \end{array}  

\begin{array}{rcl}u(x) & = & x^3\\u'(x) & = & 3x^2\\\\v(x) & = & x^2\\v'(x) & = & 2x \end{array}

Möglicherweise ist Ihnen in den Sinn gekommen, die Ausgangsfunktion mithilfe der Potenzgesetze wie folgt zusammenzufassen: f(x) = x^5. Die Multiplikation der beiden Faktoren ist natürlich möglich und führt beim Ableiten zu einer (erheblichen) Vereinfachung, da die Anwendung der Produktregel dann nicht nötig ist. Der einfache Gebrauch der Potenzregel reicht aus und führt (natürlich) zum gleichen Ergebnis.

f(x) = \left(x^3+5x^2-32\right)\left(x^4-x\right)  

\begin{array}{rcl}f'(x) & = & \left(3x^2+10x\right)\left(x^4-x\right) + \left(x^3+5x^2-32\right)\left(4x^3-1\right) \\\\& = & 3x^6-3x^3+10x^5-10x^2 + 4x^6-x^3+20x^5-5x^2-128x^3+32 \\\\& = & 7x^6+30x^5-132x^3-15x^2+32 \end{array}

 

\begin{array}{rcl}u(x) & = & x^3+5x^2-32\\u'(x) & = & 3x^2+10x\\\\v(x) & = & x^4-x\\v'(x) & = & 4x^3-1 \end{array}

Wichtig: Das Ableiten von Produkten geht nicht so einfach wie das Ableiten von Summen. Daher ist es für das Ableiten günstig, eine Funktion vorab - wenn möglich - so weit es geht auszumultiplizieren, sodass möglichst wenig Produkte übrig sind. Schauen wir uns dazu noch mal das vorhergehende Beispiel an:

\begin{array}{rcl}f(x) &=& \left(x^3+5x^2-32\right)\left(x^4-x\right) \\\\ &=& x^7-x^4+5x^6-5x^3-32x^4+32x \\\\ &=& x^7+5x^6-33x^4-5x^3+32x \end{array}


Wie man sieht, ist das Ausmultiplizieren wirklich eine gute Idee, um das Ableiten kürzer und leichter zu gestalten. Nun kann die Funktion nur durch Anwendung der grundlegenden Regeln abgeleitet werden. Das Ergebnis ist identisch mit dem Ergebnis, das unter Anwendung der Produktregel erzielt wurde. Deswegen haben wir auf die Darstellung hier verzichtet.

Allerdings lässt sich nicht jede Funktion in dieser Art und Weise vereinfachen. Wenn das nicht geht, z. B. bei f(x) =x\cdot e^x, muss die Produktregel angewendet werden. Beide Faktoren einzeln abzuleiten und dann zu multiplizieren, ist keine Alternative!

f(x) = x^{169} \cdot e^x   \begin{array}{rcl}f'(x) & = & 169x^{168} \cdot e^x + x^{169} \cdot e^x \\\\& = & x^{168}e^x(169+x) \end{array}  

\begin{array}{rcl}u(x) & = & x^{169}\\u'(x) & = & 169x^{168}\\\\v(x) & = & e^x\\v'(x) & = & e^x \end{array}

Bitte beachten Sie, dass Exponentialfunktionen eine eigene Ableitungsregel haben und nicht nach der Potenzregel abgeleitet werden. Es führt nicht zum richtigen Ergebnis, wenn man den Exponenten als Faktor vorzieht und so weiter!


Quotientenregel

f(x)=\dfrac{1}{x^6}   f'(x) = \dfrac{0 \cdot x^6 - \left(1 \cdot 6x^5\right)}{\left(x^6\right)^2} = \dfrac{-6x^5}{x^{12}} = -\dfrac{6}{x^7}  

\begin{array}{rcl}u(x) & = & 1\\u'(x) & = & 0\\\\v(x) & = & x^6\\v'(x) & = & 6x^5 \end{array}

Dieses Beispiel hatten wir oben schon mithilfe der Potenzregel gelöst, nachdem wir den Funktionsterm unter Verwendung der Potenzgesetze in f(x) = x^{-6} umgewandelt hatten. Die Ableitung ist (natürlich) in beiden Fällen gleich. Es bleibt Ihnen selbst überlassen, welchen Weg Sie wählen ...

Wichtig: Bei der Quotientenregel steht im Zähler - anders als bei der Produktregel - ein Minuszeichen zwischen den beiden Termen. Deshalb muss unbedingt darauf geachtet werden, dass

  1. u'(x) \cdot v(x) vor dem Minuszeichen und u(x) \cdot v'(x) danach steht.
  2. der Subtrahend, also der Term hinter dem Minuszeichen, in Klammern gesetzt wird. Das ist zwar nicht in jedem Fall notwendig, aber niemals falsch. Werden die Klammern nicht gesetzt, besteht die große Gefahr, dass die Ableitung selbst oder nachfolgende Termumformungen schief gehen ...

f(x) = \dfrac{x^3+5x^2-32}{x^4-x}

  \begin{array}{rcl} f'(x) &=& \dfrac{\left(3x^2+10x\right)\left(x^4-x\right)-\left(\left(x^3+5x^2-32\right)\left(4x^3-1\right)\right)}{\left(x^4-x\right)^2} \\\\&=& \dfrac{3x^6-3x^3+10x^5-10x^2-\left(4x^6-x^3+20x^5-5x^2-128x^3+32\right)}{\left(x^4-x\right)^2}\\\\&=& \dfrac{3x^6-3x^3+10x^5-10x^2-4x^6+x^3-20x^5+5x^2+128x^3-32}{\left(x^4-x\right)^2} \\\\&=& \dfrac{-x^6-10x^5+126x^3-5x^2-32}{\left(x^4-x\right)^2} \end{array}

 

\begin{array}{rcl}u(x) & = & x^3+5x^2-32\\u'(x) & = & 3x^2+10x\\\\v(x) & = & x^4-x\\v'(x) & = & 4x^3-1 \end{array}

Auch hier ist es keine Option, Zähler und Nenner separat abzuleiten und dann durcheinander zu teilen! Bei allen Funktionen, bei denen eine Teilfunktion im Nenner steht, muss die Quotientenregel angewendet werden.

f(z) = \dfrac{\ln(z)}{z}   \begin{array}{rcl} f'(z) & = & \dfrac{\dfrac{1}{z} \cdot z - \left(\ln(z) \cdot 1\right)}{z^2} \\\\& = & \dfrac{1 - \ln(z)}{z^2} \end{array}  

\begin{array}{rcl}u(z) & = & \ln(z)\\u'(z) & = & \dfrac{1}{z}\\\\v(z) & = & z\\v'(z) & = & 1 \end{array}

Lassen Sie sich nicht davon irritieren, dass die Variable hier z (und nicht wie gewohnt x) heißt. Alle Ableitungsregeln gelten vollkommen unverändert. So lautet z. B. die erste Ableitung der Logarithmusfunktion f(z)=ln(z) demzufolge f'(z)=\dfrac{1}{z}.


Kettenregel

Eine grundlegende Überlegung zuerst: Woran erkennt man, dass eine Funktion verkettet ist?
Ein gutes Indiz ist, dass in einer Potenz, unter einer Wurzel, im Argument einer Logarithmus-, Sinus-, Kosinus- etc. Funktion nicht nur eine Variable steht, sondern eine weitere Funktion, wie ein Polynom. Würde man in so einer Situation Funktionswerte berechnen, müsste man erst den Wert der inneren Funktion (z. B. des Polynoms) bestimmen und anschließend diesen Wert in die Potenz / Wurzel / ... einsetzen.

f(x)=(x^3+5x^2-32)^4   \begin{array}{rcl} f'(x) &=& 4\left(h(x)\right)^3 \cdot h'(x) \\\\& = & 4\left(x^3+5x^2-32\right)^3\cdot\left(3x^2+10x\right) \\\\& = & \left(12x^2+40x\right)\cdot\left(x^3+5x^2-32\right)^3 \end{array}  

\begin{array}{rcl}g(h(x)) & = & (h(x))^4\\g'(h(x)) & = & 4(h(x))^3\\\\h(x) & = & x^3+5x^2-32\\h'(x) & = & 3x^2+10x \end{array}

Hier steht das Polynom in der Basis einer Potenz. Würde man also einen Funktionswert bestimmen wollen, müsste zuerst das Polynom in der Basis berechnet werden, um danach den Wert der gesamten Potenz auszurechnen. Das ist typisch für verkettete Funktionen. Deswegen werden das Polynom in der Basis als die innere Funktion h(x) und die Potenz als die äußere Funktion g(x), die die innere Funktion umschließt, bezeichnet. Man schreibt daher auch g(h(x)).

Alternativen zur Kettenregel gibt es beim Ableiten in diesen Fällen nicht! Die Potenzregel auf die äußere Funktion (...)^4 anzuwenden, ist zwar korrekt, aber nur ein Teil der richtigen Lösung. Die innere Ableitung darf nicht "unter den Tisch fallen".

Bemerkung: Wenn die Ableitung der inneren Funktion aus mehreren Summanden besteht, in diesem Beispiel h'(x)=3x^2+10x, muss diese Ableitung bei den nachfolgenden Rechnungen in Klammern gesetzt werden.

 

f(x) = 13 \cdot 10^{x^2-1}   \begin{array}{rcl} f'(x) & = & 13 \cdot \ln(10) \cdot 10^{h(x)} \cdot h'(x) \\\\& = & 13 \cdot \ln(10) \cdot 10^{x^2-1} \cdot 2x \\\\& = & 26x \cdot \ln(10) \cdot 10^{x^2-1} \end{array}  

\begin{array}{rcl}g(h(x)) & = & 10^{h(x)}\\g'(h(x)) & = & \ln(10) \cdot 10^{h(x)}\\\\h(x) & = & x^2-1\\h'(x) & = & 2x \end{array}

Bei dieser Exponentialfunktion steht das Polynom im Exponenten. Würde man also einen Funktionswert bestimmen wollen, müsste zuerst das Polynom im Exponenten berechnet werden, um danach den Wert der Exponentialfunktion auszurechnen. Deswegen wird das Polynom im Exponenten als innere Funktion h(x) und die Exponentialfunktion als äußere Funktion g(x) bezeichnet.

Wichtig: Denken Sie bitte auch hier an die Regel zur Ableitung einer Exponentialfunktion, die natürlich auch bei der Anwendung der Kettenregel beachtet werden muss. 

Bemerkung: Die 13 vor der Exponentialfunktion ist ein konstanter Faktor, der nach der Faktorregel beim Ableiten unverändert erhalten bleibt.

\begin{array}{rcl}f(x) & = & \sin(\sqrt[3]{x}) \\\\& = & \sin(x^{\frac{1}{3}}) \end{array}   \begin{array}{rcl} f'(x) & = & \cos(h(x)) \cdot h'(x) \\\\& = & \cos(x^{\frac{1}{3}}) \cdot \dfrac{1}{3} x^{-\frac{2}{3}} \\\\& = & \dfrac{1}{3\sqrt[3]{x^2}} \cdot \cos(\sqrt[3]{x}) \end{array}  

\begin{array}{rcl}g(h(x)) & = & \sin(h(x))\\g'(h(x)) & = & \cos(h(x))\\\\h(x) & = & x^{\frac{1}{3}}\\h'(x) & = & \dfrac{1}{3}x^{-\frac{2}{3}} \end{array}

Bei diesem Beispiel steht ein Wurzelausdruck im Argument der Sinusfunktion. Würde man also einen Funktionswert bestimmen wollen, müsste zuerst die Wurzel berechnet werden, um danach den Sinuswert auszurechnen. Deswegen ist die Wurzel die innere Funktion h(x) und die Sinusfunktion die äußere Funktion g(x).


Kombination mehrerer weitergehender Regeln

Zum Abschluss folgt jetzt noch ein Beispiel, in dem zwei der drei weitergehenden Regeln miteinander kombiniert sind. Produkt-, Quotienten- und Kettenregel müssen also gleichzeitig, quasi ineinander verwoben, angewendet werden.

\begin{array}{rcl}f(x) & = & \sqrt[3]{x^5 \cdot \tan(x)}-16 \\\\& = & \left(x^5 \cdot \tan(x)\right)^\frac{1}{3} - 16\end{array}  

\begin{array}{rcl}f'(x) & = & \dfrac{1}{3} \cdot \left(h(x)\right)^{-\frac{2}{3}} \cdot h'(x) - 0\\\\& = & \dfrac{1}{3}\left(x^5 \cdot \tan(x)\right)^{-\frac{2}{3}} \cdot \left(5x^4 \cdot \tan(x) + x^5 \cdot \dfrac{1}{\left(\cos(x)\right)^2}\right) - 0\\\\& = & \dfrac{5x^4 \cdot \tan(x) + \frac{x^5}{\left(\cos(x)\right)^2}}{3 \sqrt[3]{\left(x^5 \cdot \tan(x)\right)^2}}\end{array}

 

\begin{array}{rcl}g(h(x)) & = & (h(x))^\frac{1}{3} \\g'(h(x)) & = & \dfrac{1}{3} \cdot \left(h(x)\right)^{-\frac{2}{3}}\\\\h(x) & = & u(x) \cdot v(x) \\ &=& x^5 \cdot \tan(x)\\h'(x) & = & (u(x) \cdot v(x))' \\ &=& u'(x) \cdot v(x) + u(x) \cdot v'(x)\\\\u(x) & = & x^5\\u'(x) & = & 5x^4\\\\v(x) & = & \tan(x)\\v'(x) & = & \dfrac{1}{\left(\cos(x)\right)^2}\end{array}

Da unter der dritten Wurzel f(x)=\sqrt[3]{...} nicht einfach nur eine Variable steht, ist hier - analog zu den vorhergehenden Beispielen - die Anwendung der Kettenregel zwingend erforderlich. Die Ableitung der äußeren Funktion g(h(x)) = h(x)^\frac{1}{3} folgt dabei dem bekannten Schema. Bei der Ableitung der inneren Funktion h(x) ist allerdings zu beachten, dass für die Ableitung des Terms x^5 \cdot \tan(x) die Produktregel genutzt werden muss. Während wir noch damit beschäftigt sind, die Anwendung der Kettenregel abzuschließen. muss bei der Bildung von h'(x) noch eine weitere der weitergehenden Regeln berücksichtigt werden.

 

 

Exkurs zum Definitionsbereich: Wir hatten uns bei den Beispielen zur Potenzregel auch die Wurzelfunktion f(x) = \sqrt{x} angeschaut. Bekanntermaßen ist deren Definitionsbereich in den reellen Zahlen eingeschränkt, da aus negativen Zahlen keine Quadratwurzeln gezogen werden können. Der Definitionsbereich lautet also \mathbb{D} = \mathbb{R}_0^+.

Aber wie sieht es mit dem Definitionsbereich der Ableitungsfunktion f'(x) = \dfrac{1}{\sqrt{x}} aus?
Hier müssen wir nicht nur darauf achten, dass durch die Quadratwurzel negative Werte ausgeschlossen sind, sondern auch beachten, dass die Quadratwurzel im Nenner steht und somit zusätzlich die Division durch 0 vermieden werden muss. Somit hat die erste Ableitung als Definitionsbereich \mathbb{D} = \mathbb{R}^+.

Die Definitionsbereiche von Ausgangsfunktion und Ableitung können sich also unterscheiden. Im betrachteten Beispiel hat das zur Konsequenz, dass für die Stelle x=0 keine Steigung bestimmt werden kann, da die Ableitung hier nicht definiert ist. Auch wenn also das Bestimmen der Ableitung gelungen ist, bedeutet das nicht zwingend, dass auch für jeden x-Wert des ursprünglichen Definitionsbereichs eine Steigung berechnet werden kann.

Neben der Möglichkeit, dass der Definitionsbereich der Ableitungsfunktion gegenüber dem Definitionsbereich der Ausgangsfunktion eingeschränkt ist, besteht auch die Möglichkeit, dass der Definitionsbereich der Ableitungsfunktion größer ist. Nehmen wir als Beispiel die Funktion f(x) = \ln(x), deren Ableitung f'(x) = \dfrac{1}{x} ist. Der Definitionsbereich der Ausgangsfunktion lautet \mathbb{D} = \mathbb{R}^+, wohingegen der Definitionsbereich der Ableitungsfunktion \mathbb{D} = \mathbb{R}\setminus_{\{0\}} ist. Auch wenn die Ableitungsfunktion f'(x) für negative Werte bestimmt ist, handelt es sich dabei nicht um die Steigung der Ausgangsfunktion, da diese dort einfach nicht existiert.

 

Nicht differenzierbare Funktionen

Es gibt Funktionen, bei denen sich an bestimmten Stellen die Steigung nicht bestimmen lässt. Die folgende Grafik zeigt eine solche Funktion f(x) (fett gezeichnet):

Betragsfunktion als nicht differenzierbare Funktion

Was ist hier das Problem?
Im Tiefpunkt der Funktion f(x) (es ist eine Betragsfunktion, nämlich f(x)=\vert x+1\vert+1) lassen sich beliebig viele Tangenten mit sehr unterschiedlichen Steigungen finden. Hier sind zur Illustration drei Geraden eingezeichnet, die alle den Funktionsgraphen im Tiefpunkt berühren und eigentlich das Kriterium einer Tangenten erfüllen. Allerdings ist keine dieser Tangenten "besser" oder "schlechter" als die anderen, sodass es letztendlich nicht die eine Tangente gibt, die die gegebene Funktion approximiert. Somit kann auch keine Steigung der Tangenten bestimmt werden, die der Steigung der Ausgangsfunktion in diesem Punkt entspräche. Deswegen kann in diesem Punkt keine Steigung der Funktion bestimmt werden und man sagt: Die Funktion f(x) ist im Punkt (-1\mid 1) nicht differenzierbar.

 

Berechnung von Extrempunkten

Zur Berechnung von Extrempunkten starten wir mit einer kleinen Wiederholung ... Nehmen wir die Funktion f(x)=4x^2-4x und erstellen eine Wertetabelle:

x   -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5
f(x)   120 80 48 24 8 0 0 8 24 48 80

 

Versuchen wir nun, die Extrempunkte der Funktion aus der Wertetabelle abzulesen, fällt auf, dass der kleinste Funktionswert, nämlich 0, zweimal auftritt. Man könnte also die Erkenntnis gewinnen, dass die Funktion zwei Tiefpunkte, nämlich bei x_{N1}=0 und x_{N2}=1, hat. Aber ist das richtig?

Stellen wir uns daher die Frage, ob die Funktion überhaupt Hochpunkte oder Tiefpunkte hat und wenn ja, wie viele. Die Beantwortung dieser Frage ist häufig nicht ganz einfach, da das Spektrum der Möglichkeiten groß ist und von null bis zu unendlich vielen Extrempunkten reicht.
Im vorliegenden Fall hilft uns die Erkenntnis, dass es sich um eine quadratische Funktion handelt. Quadratische Funktionen haben immer Parabeln als Graph und diese haben genau einen Extrempunkt, nämlich den sogenannten Scheitelpunkt. Da bei der gegebenen Funktion der Koeffizient vor dem quadratischen Term positiv ist, ist die Parabel nach oben geöffnet und hat somit genau einen Tiefpunkt. Es darf und kann also nicht zwei x-Werte für den kleinsten y-Wert geben!

Aber warum haben wir dann aus der Wertetabelle (fälschlicherweise) zwei Tiefpunkte abgelesen?
Wir haben uns bei der Wahl der x-Werte für unsere Wertetabelle aus Bequemlichkeit für ganzzahlige Werte entschieden. Nur ist - dummerweise - der x-Wert des gesuchten Tiefpunkts nicht ganzzahlig, sondern liegt zwischen 0 und 1. Das "Problem" ist also nicht die Funktion, sondern unsere Wahl der x-Werte für die Wertetabelle. Im vorliegenden Beispiel können wir das Problem beheben, indem wir für die x-Werte den Abstand auf 0{,}5 reduzieren, da Parabeln immer symmetrisch sind und der Scheitelpunkt somit mittig zwischen den beiden x-Werten mit dem kleinsten y-Wert aus der oberen Wertetabelle liegen muss. Das ist also bei 0{,}5:

x   -2{,}5 -2 -1{,}5 -1 -0{,}5 0 0{,}5 1 1{,}5 2 2{,}5
f(x)   35 24 15 8 3 0 -1 0 3 8 15


Damit wäre bei dieser Funktion alles in Ordnung gebracht: Der gesuchte Tiefpunkt liegt bei (0{,}5 \mid -1).

Stellen Sie sich nun aber vor, dass der Scheitelpunkt bei x=-\frac{19}{65} oder x=\sqrt{127} liegen würde (soll alles schon mal vorgekommen sein ...). Dann wäre der entsprechende Extrempunkt sicherlich nicht durch eine Wertetabelle zu finden.

Mithilfe von Ableitungen lassen sich solche Schwierigkeiten (und auch noch andere) vermeiden. Ableitungen gehören in den Bereich der Differenzialrechnung, die es u. a. ermöglicht, charakteristische Punkte und Eigenschaften von Funktionen exakt zu bestimmen (siehe Kapitel Eigenschaften und "besondere Punkte" von Funktionen). Die Erkenntnisse über eine Funktion hängen damit nicht mehr von ungeschickt gewählten Werten in einer Wertetabelle (wie in unserem Beispiel), einer nur mäßig guten Zeichnung (welche das Ablesen von Werten schwierig bis unmöglich macht) oder dem willkürlich gewählten Ausschnitt des Koordinatensystems (welcher vielleicht die relevanten Bereiche gar nicht umfasst) ab. Und - ganz wichtig - auch bei Funktionen mit mehreren Variablen, die sich nicht mehr vernünftig zeichnen lassen, liefert die Differenzialrechnung Erkenntnisse.

Im Folgenden soll es nun darum gehen, Extrempunkte rechnerisch zu bestimmen.


Vorgehen:
1.
Um Extrempunkte zu bestimmen, leitet man klassischerweise die Funktion zuerst ab und löst anschließend die Gleichung, die entsteht, wenn man die erste Ableitung nullsetzt.

Dieses Verfahren wird plausibel, wenn man sich das Ganze grafisch anschaut:
Graph mit Tangenten in Tief-, Hoch- und Sattelpunkt

Dort, wo die Funktion Hoch- und Tiefpunkte hat, muss die Tangente waagerecht sein, sprich: Die Steigung ist zwingend 0. Genau diese x-Werte berechnen wir mithilfe der nullgesetzten Ableitung, also f'(x)=0.
Sie sehen in diesen Grafiken aber auch, dass es noch einen weiteren x-Wert mit einer waagerechten Tangente gibt, nämlich den Sattelpunkt bei x=0. Dieses Verfahren liefert also Kandidaten für Extremstellen, gibt aber noch keine sichere Auskunft darüber, ob an den Kandidatenstellen wirklich Hoch- oder Tiefpunkte vorliegen. Wir sind daher noch nicht fertig ...


2.
Im nächsten Schritt überprüft man die Kandidaten, x_K, mithilfe der zweiten Ableitung: Man setzt die zuvor ermittelten x-Werte in die zweite Ableitung ein und prüft, ob das Ergebnis ungleich 0 ist. Folgende Zusammenhänge bestehen:

  • Ist das Ergebnis größer als 0, also f''(x_K)>0, hat die Funktion bei diesem x-Wert mit Sicherheit einen Tiefpunkt.
  • Ist das Ergebnis kleiner als 0, also f''(x_K) < 0, hat die Funktion bei diesem x-Wert mit Sicherheit einen Hochpunkt.
  • Ist das Ergebnis gleich 0, also f''(x_K)=0, hat die Funktion an diesem x-Wert in der Regel keinen Hoch- oder Tiefpunkt, sondern einen Sattelpunkt, also einen speziellen Wendepunkt ... Es ist aber nicht gänzlich ausgeschlossen, dass dort doch ein Hoch- oder Tiefpunkt (und kein Sattelpunkt) vorliegt. Deswegen müsste die Analyse hier weiter fortgesetzt werden, was aber über den Anspruch dieses Lernmoduls hinausgeht, da diese Fälle doch eher selten sind.


Für diesen zweiten Schritt gibt es auch andere Verfahren, die hier aber nicht weiter thematisiert werden.


3.
Nicht vergessen: Um die Hoch- oder Tiefpunkte zu bestimmen (und nicht nur die x-Werte), müssen wir noch die jeweiligen Funktionswerte berechnen - ein Punkt braucht ja immer zwei Koordinaten ...


Ein Beispiel:
\begin{array}{rcl}f(x) & = & \dfrac{1}{24}x^3-\dfrac{1}{8}x^2-x \\\\\mathbb{D} &=& \mathbb{R}\end{array}

1. Schritt: Kandidaten für die Extrempunkte berechnen
Um die hier relevanten Schritte in den Fokus zu rücken, wurde das Auflösen der quadratischen Gleichung hier nicht notiert. Macht man wie immer ...

\begin{array}{rclll} f'(x) &=& \dfrac{1}{8}x^2-\dfrac{1}{4}x-1 & \vert & \text{nullsetzen} \cr \cr 0 &=&\dfrac{1}{8}x^2-\dfrac{1}{4}x-1 \cr &...& \cr x_1 &=& -2 \cr x_2 &=& 4 \end{array}


2. Schritt: Kandidaten überprüfen und ggf. Art des Extrempunkts ermitteln

\begin{array}{rclll} f''(x) &=& \dfrac{1}{4}x-\dfrac{1}{4} & \vert & \text{Kandidaten einsetzen} \cr \cr f''(-2) &=& -\dfrac{3}{4} & < & 0 \quad \Rightarrow \text{Hochpunkt} \cr \cr f''(4) &=& \dfrac{3}{4} & > & 0 \quad \Rightarrow \text{Tiefpunkt}\end{array}


3. Schritt: Funktionswerte ausrechnen

\begin{array}{rclll} f(-2) &=&\dfrac{1}{24}\cdot(-2)^3-\dfrac{1}{8}\cdot(-2)^2-(-2) &=& \dfrac{7}{6} \cr\cr f(4) &=&\dfrac{1}{24}\cdot 4^3-\dfrac{1}{8}\cdot4^2-4 &=& -\dfrac{10}{3} \end{array}


Ergebnis: Die Funktion hat bei \left(-2\mid \dfrac{7}{6}\right) einen Hochpunkt und bei \left(4\mid -\dfrac{10}{3}\right) einen Tiefpunkt. Grafisch sieht das so aus:
Graph zu Beispiel


Achtung:
Es gibt Extremstellen, z. B. an den Rändern des Definitionsbereichs (sofern er eingeschränkt ist) oder bei x-Werten, an denen keine Steigung bestimmt werden kann (nicht differenzierbare Funktion, siehe oben), die mithilfe dieses Verfahrens nicht gefunden werden können. In diesen Fällen müssen die Randwerte eines geschlossenen Intervalls bzw. die nicht differenzierbaren Stellen also separat überprüft werden.

 

Zum Abschluss

Während Ihrer Schulzeit sind Sie vermutlich häufiger mit Aufgabenstellungen im Sinne von "Leiten Sie f(x)=... ab" oder "Bilden Sie die ersten zwei Ableitungen von ..." konfrontiert worden oder Sie sollten nach vorgegebenem Schema eine Kurvendiskussion durchführen. Da dieses Kapitel der Wiederholung und Auffrischung dient, bewegen wir uns auch hier in genau diesem Rahmen. Allerdings werden Sie solche Aufgaben im Studium selten antreffen.
In der Schulzeit ging es hauptsächlich darum, Ihnen das mathematische Rüstzeug zu vermitteln und dessen Nutzung einzuüben, damit Sie jetzt im Studium in der Lage sind, dieses Werkzeug im Rahmen von teils komplexen Anwendungszusammenhängen sicher einzusetzen. Wenn es also z. B. darum geht, den Materialeinsatz zur Lösung eines gegebenen Problems ressourcenschonend zu minimieren, ist das nichts anderes als die Suche nach dem Tiefpunkt der zugehörigen Funktion. Hierfür benötigen Sie implizit das Wissen, wie man Ableitungen und Extremstellen bestimmt - genau das, worum es in diesem Kapitel ging.